Die neoliberal geprägte Wirtschaftspolitik der letzten zwanzig Jahre hatte schwerwiegende Konsequenzen für die Gewerkschaftsbewegung. Dabei muss man unterscheiden zwischen den objektiven, sozusagen bewusstlosen Auswirkungen dieser Politik auf die Gewerkschaftsbewegung durch die Veränderung von Arbeitswelt und Beschäftigungsstrukturen und den Maßnahmen, die von der herrschenden Klasse und ihren Sachwaltern in den Parlamenten durch Veränderung der Gesetzgebung gezielt gegen die Gewerkschaften selbst gerichtet wurden.
1. Vorbemerkung
Wir werden im Folgenden die Modebegriffe „neoliberale Politik“ und „Globalisierung“ vermeiden. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Erstens sind sie irreführend, weil sie suggerieren, es handle sich bei
der derzeitigen Phase der kapitalistischen Entwicklung um einen neuen
historischen Abschnitt. Das ist nicht der Fall. Wir befinden uns immer
noch in der Phase, die Ernest Mandel als „Spätkapitalismus“ bezeichnet
hat, und alle von ihm benannten Wesensmerkmale dieser Epoche treffen
auf die derzeitigen Entwicklungslinien kapitalistischer Politik zu. Was
sich verändert hat, ist lediglich die Geschwindigkeit, mit der die
Durchkapitalisierung der Welt abläuft – d.h., wir haben es seit dem
Fall des Ostblocks mit einer enormen Beschleunigung dieses Prozesses zu
tun.
Zweitens ist das Wort „Globalisierung“ lediglich eine andere
Bezeichnung für die dem Kapitalismus inhärente Tendenz zur weltweiten
Ausbreitung; auch hier ist keine qualitative Veränderung zu beobachten.
Drittens ist der Begriff „Neoliberalismus“ wissenschaftlich gesehen
unscharf, da es verschiedene „Schulen“ des Neoliberalismus gibt, die
zum Teil mit der heute betriebenen liberalen, angebotsorientierten
Wirtschaftspolitik nichts zu tun haben. (So trat der klassische
deutsche Neoliberalismus der Schule um Eucken, Röpke etc. durchaus für
staatsinterventionistisches Handeln im Wirtschaftsleben ein.)
Und viertens werden beide Begriffe häufig in dem Sinne benutzt, dass es
einen „anderen“ Kapitalismus gäbe – in diesem Zusammenhang tauchen dann
zoologische Klassifizierungen wie „Raubtierkapitalismus“ oder ähnliche
auf. Dem muss explizit entgegengehalten werden, dass wir es heute wie
gestern mit dem ganz gewöhnlichen Kapitalismus zu tun haben und dass
die Frage, wie „räuberisch“ sich dieser gerieren kann, schlicht von den
gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen abhängt.
Und da wären wir beim Thema, denn entscheidend für die Beurteilung
dieser Kräfteverhältnisse ist der Zustand der Organisationen der
Lohnabhängigen.
2. Liberale Wirtschaftspolitik und ihre Konsequenzen für die Gewerkschaftsbewegung
Auf Welt- und europäischer Ebene befinden wir uns immer noch in der
Phase der langen Welle mit depressivem Grundton. Das Ziel der
herrschenden Klasse in den letzten zwanzig Jahren war es, einen Weg aus
der lang andauernden ökonomischen Krise, sprich: aus der Krise der
Profitraten, zu finden, indem durch ein Bündel von Maßnahmen die
Profitraten angehoben werden sollten. Im Wesentlichen handelt es sich
dabei um die folgenden Punkte:
- Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Wie wir am Beispiel von Deutschland sehen werden, hat sich eine dramatische Reduktion der so genannten „Normalarbeitsverhältnisse“, d.h. unbefristeter Vollzeitstellen, vollzogen.
- Versuch des Imports von Billigarbeitskräften. Hier sollte unter anderem die Bolkestein-Richtlinie einen entscheidenden Schritt vorwärts für das Kapital bringen.
- Kostenreduktion im Bereich der Sozialsysteme (Renten, Gesundheitsversorgung etc.) und zwar hauptsächlich durch die Mittel der Privatisierung und des Abbaus von Subventionen.
- Internationalisierung der Produktion (innerhalb und außerhalb Europas), also das, was heute „Globalisierung“ genannt wird (was auf der qualitativen Ebene ebenfalls nicht neu ist). Der Unterschied ist der, dass sich die Geschwindigkeit dieses Prozesses heute wesentlich beschleunigt hat und dass durch die Effekte der technologischen Revolution die Verlegung von ganzen Produktionsstätten von einem Ort zum anderen schneller und leichter als jemals in der Geschichte vonstatten gehen kann, was bedeutet, mit der Produktion dahin zu gehen, wo die Kosten, natürlich an erster Stelle die Lohnkosten, am geringsten sind.
- Absenkung der Steuern für die Besitzenden.
- Weitestmögliche Nutzung der Möglichkeiten der technologischen Revolution. Rationalisierung, Automatisierung, „just-in-time“-Produktion.
Alle diese Maßnahmen wurden mehr oder weniger in allen europäischen
Ländern angewandt, aber nicht jede einzelne in jedem Staat und nicht
alle von ihnen zur selben Zeit und im selben Ausmaß. Das erklärt
teilweise die unterschiedliche Entwicklung der jeweiligen
Nationalökonomien innerhalb der Europäischen Union.
In diesem Prozess wurde ein Teil der genannten Maßnahmen, insbesondere
die Internationalisierung der Produktion, als Drohinstrument gegen die
jeweilige nationale Arbeiterklasse und ihre Organisationen eingesetzt.
Mit dieser gesamten Politik verfolgt die herrschende Klasse zwei
wesentliche Ziele:
- Die Europäische Union zum stärksten und dynamischsten kapitalistischen Block weltweit zu machen ist das Ziel des so genannten Lissabonprozesses.
- Die Krise der Profitraten zu überwinden ist ein weiteres Ziel davon.
3. Eine direkt gegen die Gewerkschaftsbewegung gerichtete Politik
Hierbei müssen wir berücksichtigen, dass die Strategien von Land zu
Land variieren. Das liegt daran, dass in den einzelnen Staaten
unterschiedliche Rechtsgrundlagen bestehen, was die Gewerkschaften und
ihre Rechte betrifft. Daher ist die Notwendigkeit, offen gegen die
Gewerkschaften vorzugehen, um die Durchsetzungsbedingungen für die
unter Punkt 2 skizzierte Politik zu schaffen, für die jeweiligen
nationalen Regierungen nicht in gleichen Ausmaß gegeben.
In Deutschland beispielsweise sind die Rechte der Gewerkschaften,
insbesondere das Streikrecht, von jeher sehr eingeschränkt. Zu streiken
ist gesetzlich nur im Fall von Lohn- bzw. Vertragsverhandlungen
erlaubt, politische Streiks sind generell illegal, und es gibt gewisse
Regeln, die die entsprechenden Aktivitäten der Gewerkschaften
einschränken. Außerdem hat es in Deutschland schon immer einen starken
direkten Einfluss der Sozialdemokratie auf den DGB (den
Gewerkschaftsdachverband) gegeben, der de facto der einzig bedeutende
im ganzen Land ist. Daher gab es bisher – die Gewerkschaften in
Deutschland betreffend – keinen größeren Bedarf die Gesetze zu ändern,
auch wenn auf dem Wege einiger Gerichtsurteile gewisse Einschränkungen
durchgesetzt wurden.
In den meisten anderen EU-Ländern gibt es mehrere
Gewerkschaftsverbände, die mit unterschiedlichen politischen Strömungen
oder Parteien verbunden sind, hauptsächlich aber mit den Parteien, die
den ökonomischen und politischen Mainstream vertreten oder stützen
(eine gewisse Ausnahme ist dabei Spanien).
Das Land, in dem es die wahrscheinlich härtesten Angriffe gegen die
Rechte der Gewerkschaften gab, ist Großbritannien, wo in den 80er
Jahren während der Regierung Thatcher die Gewerkschaften durch
entsprechende Gesetzesänderungen massiv an Bedeutung und Einfluss
verloren hatten.
Aber was die Situation der Gewerkschaftsbewegung unserer Meinung nach
am meisten beeinflusst hat, waren nicht die direkten Maßnahmen (durch
gesetzgeberische Aktivitäten) gegen die Gewerkschaftsbewegung. Die
wesentliche Rolle hat die marktliberale Offensive der letzten 25 Jahre
gespielt, und die Gewerkschaftsführungen haben auf ganzer Front ihr
gegenüber kapituliert, indem sie sich auf die Logik der liberalen
Wirtschaftspolitik eingelassen haben.
4. Die Auswirkungen der liberalen Wirtschaftspolitik im Einzelnen
In der Folge werden wir an Hand einiger Zahlen und Statistiken
versuchen, einzelne Elemente dieser Entwicklung und ihre Hintergründe
zu skizzieren. Diese Darstellung kann nicht vollständig sein, aber sie
trägt dazu bei, die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede in der
Entwicklung der Gewerkschaftsbewegungen zwischen den verschiedenen
europäischen Ländern zu verstehen.
4.1. Die Veränderungen des Arbeitsmarktes
In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein dramatischer Wandel der Art
der Beschäftigungsverhältnisse bei den abhängig Beschäftigten
vollzogen. So waren im Jahr 1980 in Deutschland noch 80% so genannte
Normalarbeitsverhältnisse, d.h. unbefristete Vollzeitstellen, während
alle anderen Arbeitsverhältnisse, wie Teilzeitarbeit, geringfügige und
befristete Beschäftigungen eine relativ geringe Rolle spielten und die
Leiharbeit so gut wie nicht vorhanden war. Inzwischen ist die Zahl der
Normalarbeitsverhältnisse unter 50% gesunken mit weiter sinkender
Tendenz, den größten Zuwachs verzeichneten die Teilzeitbeschäftigten,
die geringfügig und befristet Beschäftigten. Auch die Leiharbeit hat
exponenziell zugenommen. Besonders interessant ist die deutliche
Zunahme der so genannten abhängigen Selbständigen, die vorher die
gleiche Arbeit, die sie als abhängige Beschäftigte verrichtet haben,
nunmehr als Selbständige tun. In der Regel arbeiten sie nach wie vor
für die gleiche Firma, aber auf eigenes Risiko, häufig mit erheblich
geringerem Einkommen. Dies hat natürlich drastische Rückwirkungen auf
die Kampfkraft der Gewerkschaften in manchen Branchen, da die so
genannten Scheinselbständigen von den Gewerkschaften nicht mehr
erfasst, geschweige denn mobilisiert werden können.
Ähnliches gilt für die in befristeten Arbeitsverhältnissen und die
prekär (d.h. minimal oder in Leiharbeit) Beschäftigten. Auch diese sind
aus naheliegenden Gründen nur schwer in gewerkschaftliche Aktionen
einzubeziehen.
Es wäre natürlich falsch, diese Entwicklung als eine bewusste Maßnahme
gegen die Arbeiterbewegung im Sinne einer Verschwörungstheorie zu
klassifizieren. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um eine Folge
der eingangs skizzierten kapitalistischen Strategie zur Sanierung der
Profitraten, denn die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse hat für
die kapitalistische Produktion erhebliche Kostenvorteile. Dass durch
die Änderung der Beschäftigungsstruktur gleichzeitig die
Widerstandsmöglichkeiten der ArbeiterInnenklasse über ihre
Organisationen, die Gewerkschaften, erschwert und bis in einzelne
Branchen hinein verunmöglicht werden, ist die logische Folge und für
das Kapital ein positiver Nebeneffekt. Die Auswirkungen dieser
Veränderungen der Arbeitswelt auf die Beschäftigten, vor allem die
zunehmende Individualisierung, besonders im Bereich der
Scheinselbständigen, und der damit verbundene Verlust an
gewerkschaftlichem Bewusstsein, können nicht hoch genug eingeschätzt
werden.
Jedenfalls wurden durch die dramatische Veränderung der
Beschäftigungsstruktur die Kampfmöglichkeiten der
Gewerkschaftsorganisationen erheblich eingeschränkt und das
gewerkschaftliche Bewusstsein bei einem großen Teil der Beschäftigten beeinträchtigt.
4.2. Die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften
Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in Kontinentaleuropa, d.h. in
Österreich, Italien, Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, aber
auch in Irland und Großbritannien sind spätestens seit 1980
kontinuierlich rückläufig. Auch in den industriellen Zentren außerhalb
Europas (etwa in Japan und in den USA) ist der gewerkschaftliche
Organisationsgrad im Rahmen der wirtschaftsliberalen Offensive der
letzten 25 Jahre dramatisch gesunken. Eine der wesentlichen Ursachen
hierfür ist zweifellos die bereits erwähnte Änderung der
Beschäftigungsverhältnisse. Hingegen konnten die skandinavischen Länder
und Belgien zumindest bis in die Mitte der 90er Jahre einen
kontinuierlichen Mitgliederzuwachs oder zumindest eine stabile
Mitgliedschaft verzeichnen.
4.3. Die Entwicklung der Arbeitskämpfe
Wenn man sich die Entwicklung der Zahl und der Dauer von Streiks in den
letzten 15 Jahren ansieht, fallen zwei Aspekte auf: Zum einen gibt es
offensichtlich keine automatische Korrelation zwischen dem
gewerkschaftlichen Organisationsgrad und dem Ausmaß der
Streikaktivitäten. Zwar ist in einer Reihe von Ländern, besonders in
Deutschland, die Zahl der durch Streiks verloren gegangenen Arbeitstage
je 1.000 abhängig Beschäftigte parallel zum Absinken des
gewerkschaftlichen Organisationsgrades kontinuierlich zurückgegangen,
in anderen Staaten wiederum, etwa in Frankreich, hatten die
Streikaktivitäten ein relativ hohes Niveau trotz eines sehr niedrigen
und weiter sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrades.
Zum Teil ist dieses Phänomen darauf zurückzuführen, dass die nationale
Gesetzgebung bezüglich des Streikrechts sehr unterschiedlich ist. So
ist beispielsweise in Deutschland das Streikrecht sehr restriktiv.
Politische Streiks sind generell verboten und Solidaritätsstreiks sind
nur in sehr begrenztem Umfang erlaubt. Aber sieht man sich die
Durchschnittszahlen für die Europäische Union und für die Eurozone an,
so lässt sich feststellen, dass es im Schnitt seit 1990 einen
kontinuierlichen Rückgang der Streikaktivitäten auf breiter Front
gegeben hat.
Sieht man sich die durchschnittlichen jährlichen Streiktage pro 1.000
ArbeitnehmerInnen im Zeitraum zwischen 1995 und 2003 an, fallen zwei
Punkte auf. Zum einen sind die Länder mit den geringsten
Streikaktivitäten eindeutig die osteuropäischen Länder, die nach der
Auflösung des RGW einen dramatischen Deindustrialisierungsprozess
durchmachen und entsprechend „die schweren Bataillone“ der
Gewerkschaftsbewegung verloren haben. Interessant ist, dass Deutschland
im genannten Zeitraum eine gleich niedrige Streikaktivität aufzuweisen
hat. Das liegt zum einen daran, dass Ostdeutschland nach dem Fall der
Mauer ebenfalls einen Deindustrialisierungsprozess erlebte – mit den
entsprechenden Folgen wie hohe Arbeitslosigkeit und Verlust von
Normalarbeitsplätzen – und zum anderen, dass die Wirtschaftsentwicklung
in Deutschland seit 1990 weit hinter denen der anderen westlichen
EU-Staaten hinterherhinkt.
Zum anderen entspricht das Ausmaß der Streikaktivitäten mit leichten
Einschränkungen der Wirtschaftsentwicklung in den einzelnen Ländern. So
hat Dänemark im Durchschnitt die weitaus meisten Streiktage – Dänemark
erlebt seit den 90er Jahren einen regelrechten Wirtschaftsboom.
Finnland ist ein ähnliches Beispiel.
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass hier auch historische
Faktoren eine Rolle spielen: Die Kampfbereitschaft in Ländern wie
Spanien, Frankreich oder Italien war unabhängig vom Organisationsgrad
in den Gewerkschaften traditionell höher.
4.4. Organisationsgrad und Tarifvertragssystem
Ein bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler hat im Jahr 2002 versucht,
den Zusammenhang zwischen dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und
der Art und Weise, in der das Tarifvertragssystem in den einzelnen
Ländern geregelt ist, darzustellen. Dabei berücksichtigt er den
prozentualen Anteil der organisierten Beschäftigten und den
Ausdehnungsgrad der Tarifverträge, d.h. in welchem Umfang die von den
Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträge auf alle Beschäftigten
anzuwenden sind. Der Autor unterscheidet im Wesentlichen drei Typen,
nämlich die dezentralisierte und deregulierte Wirtschaft, die er
liberale Marktwirtschaft nennt; dann den so genannten rheinischen
Kapitalismus, bei dem es eine geliehene Regulierungsmacht der
Gewerkschaften mit staatlicher Intervention und starken
Arbeitgeberverbänden gibt; und schließlich den Kooperativismus mit
starken zentralisierten Gewerkschaften, die eine eigene
Regulierungsfähigkeit haben.
So haben die skandinavischen Gewerkschaften, insbesondere Schweden,
einen Organisationsgrad von über 80%, während das Ausmaß der
Arbeitskämpfe der hohen Organisationsdichte nicht entspricht. Das hat
damit zu tun, dass im kooperativistischen System die Gewerkschaften
einen Teil der Aufgaben (Arbeitslosenunterstützung etc.) übernehmen,
die in anderen Systemen vom Staat wahrgenommen werden. Damit ist die
Mitgliedschaft in der Gewerkschaft für die soziale Absicherung
zwingend.
Generell läßt sich sagen, dass im kooperativistischen System der
Organisationsgrad am höchsten ist, während im System des so genannten
rheinischen Kapitalismus bei ähnlichem und teilweise höherem
Ausdehnungsgrad der Tarifverträge der Organisationsgrad eher niedrig
ist. Die dezentralisierte und deregulierte, also klassische liberale
Marktwirtschaft wiederum weist bei mittleren Organisationsraten einen
niedrigen Ausdehnungsgrad der Tarifverträge auf.
Im Großen und Ganzen ist in den am liberalsten verfassten
Wirtschaftssystemen im Schnitt auch die geringste Streikaktivität zu
verzeichnen.
4.5. Frauen in den Gewerkschaften
Die Mitgliedschaft von Frauen in den Gewerkschaften ist in den letzten
30 Jahren deutlich gestiegen. Dies hat seine Ursachen nicht nur in der
Beschäftigungsexpansion im Frauenbereich, sondern auch im
Mitgliederschwund bei den Männern. Festzustellen ist allerdings, dass
sich diese dramatisch veränderte Mitgliederstruktur in den
Funktionärsetagen der Gewerkschaften in den meisten Ländern nicht
wesentlich niedergeschlagen hat.
5. Schlussthesen
Wir hatten in den letzten 25 Jahren eine Situation
- der ökonomischen Krise,
- des Rückgangs der Klassenaktivität mit entsprechenden Niederlagen der Arbeiterklasse (etwa der Bergarbeiter in Großbritannien in den 80er Jahren),
- der Politik der Anpassung und der Kapitulation der wesentlichen Gewerkschaftsdachverbände in den europäischen kapitalistischen Staaten angesichts der liberalen Offensive des Kapitals,
- des allgemeinen Rückgangs des Organisationsgrades in den Gewerkschaften.
In den letzten drei Jahren scheint sich eine Wende abzuzeichnen: Die
Anzahl der Streiktage (und stellenweise auch der gewerkschaftliche
Organisationsgrad) geht wieder nach oben und eine Reihe harter
ökonomischer und politischer gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen
wurde geführt, aber:
- Fast alle dieser Kämpfe (und ihre Zahl wächst) sind defensiver Natur. Sie richten sich beispielsweise in Deutschland gegen den Versuch, die Arbeitszeiten zu verlängern, den Lohn zu kürzen und die Arbeitsbedingungen zu verschärfen.
- Gegenüber dem inzwischen in weiten Bereichen europäisierten Kapital, das eine gemeinsame Strategie gegenüber der Arbeiterklasse entwickelt hat, gibt es keine sichtbare gemeinsame Strategie der Gewerkschaftsdachverbände (mit Ausnahme der Transportarbeiterföderation, deren gemeinsame europaweiten Aktionen gegen die Transportrichtlinie der EU erfolgreich waren) und kaum gemeinsame Aktivitäten.
- Die Gewerkschaften sind immer noch hauptsächlich national ausgerichtet und fixiert.
- Ein großer Teil der Führungen der großen Gewerkschaften sind eng mit Parteien verbunden, die explizit marktliberale Politikansätze vertreten und/oder ist schlicht korrupt.
Die wesentliche Aufgabe der europäischen Gewerkschaftsbewegung in den
nächsten Jahren muss es sein, der europäischen Strategie des Kapitals,
eine europäische Strategie der Gewerkschaftspolitik entgegenzusetzen
und zu gemeinsamer grenzüberschreitender, internationaler
gewerkschaftlicher Organisierung und Aktion über die derzeitigen rein
bürokratischen Zusammenschlüsse hinaus zu kommen.
Anmerkung:
Der folgende Beitrag diente als Einleitungsreferat zur europäischen
GewerkschafterInnentagung der IV. Internationale, die im Juni 2006
stattfand.
Der Beitrag erscheint mit erklärenden Grafiken auch im Inprekorr September/Oktober
05-09-2006, 19:08:00 |Thadeus Pato