Bücher zur ungarischen Revolution
Facettenreiche Schilderung der ungarischen Ereignisse
50 Jahre nach der ungarischen Revolution sind einige neue Publikationen
hierzu erschienen. Paul Lendvai gelingt in „Der Ungarn- Aufstand 1956 -
Eine Revolution und ihre Folgen“ eine packende und facettenreiche
Schilderung der ungarischen Ereignisse. Positiv hervorzuheben ist seine
Interpretation der Ereignisse als Revolution und nicht als
Volkserhebung oder Volksaufstand, wie es in vielen bürgerlichen
Publikationen üblich war. In Anlehnung an Miklos Molnár spricht er von
einer siegreichen Niederlage. Von einer siegreichen Revolution kann
gesprochen werden, weil die bestehende Regierung durch eine
Massenbewegung gestürzt und eine Regierung erzwungen wurde, welche das
Vertrauen der maßgeblichen Organe der Revolution genoß. Verloren wurde
der Krieg gegen die Sowjetunion.
Die Diskussionen in Moskau, welche der Entscheidung zur zweiten
militärischen Intervention vorangingen, sind heute quellenmäßig gut
erschlossen. Lendvai eröffnet diese erstmals dem deutschsprachigen
Publikum. Daher fiel auch etwas Licht auf das plötzliche Verschwinden
Kádárs und seine politische Kehrtwende. Überdies geht Lendvai auch auf
die ungarischen Arbeiterräte ein, wenngleich er ihre zentrale Bedeutung
herausgearbeitet hat. Schließlich war es der sich formierende Wille
dieser Arbeiter- und Revolutionsräte auf die Imre Nagy Rücksicht nehmen
mußte.
Ebenso positiv hebt sich seine Kritik und Verurteilung der
doppelzüngigen Politik Englands von vielen bürgerlichen Darstellungen
ab, wenngleich auch sie an der Oberfläche haften bleibt. Daß während
des Höhepunkts der Revolution der hauptsächlich von England forcierte
Suezkrieg begann, ist eine der Merkwürdigkeiten dieser Zeit.
Lendvai schreibt mit der Leidenschaft des Teilnehmers, trotzdem oder
vielleicht deswegen ist ihm ein Buch gelungen, das den Leser in diese
spannende Zeit führt.
Paul Lendvai: Der Ungarn- Aufstand 1956. Eine Revolution und ihre Folgen.
München, Bertelsmann 2006, 320 Seiten.
Vom Parteisoldaten zum Märtyrer
János M. Rainer ist Direktor des Instituts für die geschichte der
ungarischen Revolution 1956 in Budapest und hat in jahrelanger
Recherchearbeit die überfällige Nagy- Biographie geschrieben. Seine
zweibändiges, über 1000 Seiten starkes Werk, hat eine Zusammenfassung
erfahren, die nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Über das Leben
und das politische Denken Imre Nagys ist außerhalb Ungarns nur wenig
bekannt. So gab sein Verhalten in den entscheidenen Tagen der
Revolution zu kontreversen Interpretationen Anlaß. Rainer zeigt, welche
Kräfte und Überlegungen hinter seinen zögerlichen Entscheidungen
standen, wie schwer er sich zu der Erkenntnis durchrang, daß die
Revolution auch eine Revolution gegen seine Partei war. Maßgeblichen
Anteil hieran hatte der Druck und die Präsenz der Arbeiterräte mit
ihren Forderungen nach Abzug der russischen Truppen, dem Austritt aus
dem Warschauer Pakt und die Forderung nach allgemeinen Wahlen. In
seiner Analyse beleuchtet Rainer auch die Zerrissenheit innerhalb der
Moskauer Führung. Angesichts dieser nun offenbaren Uneinigkeit
erscheint die Hoffnung, Moskau – insbesondere Chruschtschow – hätte ein
unabhängiges Ungarn toleriert, in einem anderen Licht. Aber auch das
Leben und Denken von Imre Nagy vor und nach der Revolution beschreibt
der Autor und gibt uns ein Bild von Imre Nagy, das außerhalb Ungarns
nur wenig bekannt ist.
János M. Rainer:
Imre Nagy. Vom Parteisoldaten zum Märtyrer des ungarischen Volksaufstands. Eine politische Biographie 1896 – 1958.
München, Ferdinand Schöningh 2006. 282 Seiten.
Verfälschende Bilder von historischen Zusammenhängen
Die Lektüre seines historischen Versuches ist leider enttäuschend. So
belegt Dalos seine Darstellungen nicht mit Quellenverweisen. Der Leser
ist darum außerstande zwischen historischer Darstellung und
persönlichen Interpretationen des Autors zu unterscheiden. Als Quellen
wird im Anhang nur eine „Buchauswahl“ angegeben, vermutlich um darüber
hinweg zu täuschen, dass grundsätzliche Literatur nicht eingearbeitet
wurde. Der Autor demonstriert, wie mit Halb- und Viertelwissen,
getränkt mit der Ideologie der Geldgeber, verfälschende Bilder von
historischen Zusammenhängen fabriziert wird. So weiß er über die Motive
der bewaffneten Kämpfer in Budapest zu berichten: „Vor allem junge
Menschen zwischen zwölf und zwanzig Jahren fühlten sich nicht unbedingt
aus politischen Überzeugungen, sondern eher aus jugendlicher
Aberteuerlust zu den Gruppen hingezogen.“ Haben dies ihm die
jugendlichen Kämpfer berichtet? Wir erfahren es nicht.
Die Triebkräfte der modernen Revolution sind durch die Aktivität und
Entfaltung der Arbeiterräte und anderer revolutionärer
Selbstorganisationen geprägt. Ihnen gewährt Dalos nur eine
Statistenfunktion als Korrektiv einer kommunistischen Partei oder in
Gestalt von einflußlosen Betriebsräten. Und doch schreibt er, die
Regierung habe sich dem Volk ergeben. Was das ‚Volk’ aber sei,
außerhalb der Organisationen, die es sich selber gegeben hat, bleibt
bei Dalos ein Mythos.
Ein für das Verständnis der ungarischen Revolution von 1956 wenig ergiebiges wenn nicht überflüssiges Buch.
György Dalos: 1956. Der Aufstand der Ungarn.
München C.H. Beck 2006. 247 Seiten.