Die Hoffnungen auf eine gemeinsame Kandidatur der anti-neoliberalen Linken in Frankreich sind inzwischen vor allem durch das Festhalten der Französischen Kommunistischen Partei an ihrem Vorschlag, ihre Vorsitzende Marie-Georges Buffet solle die Kandidatin werden, gegen Null gesunken. Dies war und ist für (fast) alle anderen Kräfte in den „collectifs pour des candidatures unitaires“ (Komitees für eine Einheitskandidatur), die aus den Komitees für das „Nein“ zu dem EU-Verfassungsvertrag hervorgegangen sind, unannehmbar. Inhaltlich kritisierte die LCR vor allem die unzureichende Abgrenzung der Mehrheit in den Komitees gegen eine mögliche Beteiligung an einer Regierungskoalition mit der PS. Die Leitung der LCR hat im Dezember mit einer Mehrheit von 62 % das Scheitern der Verhandlungen um eine Einheitskandidatur festgestellt und die Fortsetzung der Besancenot-Kampagne beschlossen. Daniel Bensaïd, führendes Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), der französischen Sektion der 4. Internationale und Professor für Philosophie, geht in dem Interview mit der Schweizer Monatszeitschrift „La brèche“ auf die soziale und politische Lage in Frankreich in der Zeit vor der eigentlichen Phase des bevorstehenden Wahlkampfs ein, auch auf die Debatten, die sich um eine eventuelle Einheitskandidatur der anti-neoliberalen Linken drehen.
Wie nimmt sich für die sozialen Bewegungen die kommende Periode aus, nach den massenhaften anti neoliberalen Mobilisierungen, vor allem der großartigen Bewegung gegen den„Contrat première embauche“ (CPE –Ersteinstellungsvertrag) und der Kampagne für das „Non“ bei dem EU-Referendum?
Es gibt ja in Frankreich eine
Debatte darüber, dass eine Einheitskandidatur, die das linke „Nein“ vom
Referendum bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen zum Ausdruck
bringt, wünschenswert sei. Unterstützt die LCR diese Option und, wenn
ja, unter welchen Bedingungen?
Meinung, dass es die Illusion gibt, das „Nein“ sei nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung für eine Neugründung auf der Linken. Auch wenn diese Schlacht sehr wichtig gewesen ist, so gibt es doch keine politische Grundlage, die für eine einheitliche Sammlung ausreichend wäre. In den Kämpfen gibt es diese Einheit natürlich sehr wohl, wie sich das vor kurzem wieder bei dem Kampf gegen die Vertreibungen in Cachan gezeigt hat. Es liegt auf der Hand, dass dagegen das „Nein“ keine ausreichende Grundlage für einen Wahlkampf, also eine programmatische Frage, d. h. ein politisches Projekt ist. Anzeichen dafür, dass es nicht reicht, haben wir in den weiteren Monaten des Jahres 2005 nach dem Referendum sehr rasch gesehen; drei Monate danach fand der Parteitag der Sozialistischen Partei statt, auf dem es einen Konsens gab und sich die gesamte Partei, einschließlich Fabius hinter die Mehrheit gestellt hatte, die für das „Ja“ zu Felde gezogen war. Man könnte auch die Krise von Attac in Frankreich nennen, bei der es abgesehen von den Kriterien des persönlichen Verhaltens zugleich um eine Krise des politischen Projekts und der Perspektiven geht.
Auf der Nationalen Konferenz im Juni 2006 hat die Mehrheit der LCR-Mitglieder sich dafür entschieden, ihre Kampagne zu starten und Olivier Besancenot kandidieren zu lassen. Meiner Ansicht nach ist er der beste Kandidat aus der Reihe derjenigen, die das „Nein“ repräsentieren, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt des Inhalts seiner Ausführungen als auch wegen seines aktivistischen sozialen Profils. Diese Kandidatur wird sich bemühen, ein Echo der Bestrebungen und der Forderungen aus der Welt der Arbeit und der Jugend zu bilden. Es wird eine Kandidatur, die sich an all diejenigen richtet, die einen unnachgiebigen Kampf gegen die Rechte und die extreme Rechte führen wollen, einen Kampf, der zu der Suche nach einer wirklich antikapitalistischen und vom Sozialliberalismus unabhängigen Alternative beiträgt.
ist) stellt sich das Problem der parlamentarischen und Regierungskoalition.
Es kommt nicht in Frage, für einen Kandidaten oder eine Kandidatin Wahlkampf zu machen, der bzw. die am Tag danach Sport- oder Landwirtschaftsminister von Strauss-Kahn (1) wird. Nun sind in dieser Hinsicht die Vorzeichen nicht dazu angetan, Sorgen zu zerstreuen. Bei den Gemeindewahlen, die im Oktober 2006 in Bordeaux stattgefunden haben, hat die kommunistische Partei (PCF) ein Bündnis mit der PS vorgezogen, während wir vorgeschlagen hatten, eine Liste aufzustellen, die von den Kräften des linken „Nein“ getragen wird. Die recht tief gespaltene PCF braucht eine eigene Kandidatur, um ihre Einheit zu bewahren, und vor allem, um ihr parlamentarisches Überleben mit der PS auszuhandeln. Ich glaube daher, dass es – angesichts des Laufs der Dinge – eine Besancenot-Kandidatur geben wird.
Für euch ist die Ablehnung jedweder parlamentarischer und Regierungsallianz eine nicht verhandelbare Bedingung?
Es stimmt, dass unter den Mitgliedern der Ligue unterschiedliche Optionen zu den möglichen Szenarien (Einheitskandidatur oder Kandidatur der LCR) vertreten werden, aber es gibt doch eine grundlegende Übereinstimmung in der Einschätzung, dass es die Möglichkeit einer Koalition mit der PS nicht gibt, auf keiner Ebene – mit der PS, die sich hinter der Mehrheit zusammengefunden hat und die sich in die Kontinuität der sozialliberalen Politiken stellt. Ich meine übrigens: Die Auffassung, dass eine Neuauflage der pluralen Linken nicht akzeptabel ist, und dass die politische Linie, für diese Regierungspolitik Mitverantwortung zu übernehmen, nicht in Betracht gezogen werden sollte – dass dies Überzeugungen sind, die weit über die Reihen der LCR hinaus geteilt werden. Auch der internationale Kontext liefert hier eher Alarmsignale. Auf dem Sozialforum in Florenz habe ich 2002 gehört, welche Bilanz Bertinotti von der Regierungsbeteiligung der französischen kommunistischen Partei gezogen hat, und drei Jahre danach stimmt seine eigene Partei für die Entsendung der Truppen nach Afghanistan und für den Haushalt der italienischen Regierung. Das beweist, dass wir es auf der Linken mit ausgesprochen instabilen Verhältnissen zu tun haben. Weil die sozialen Kämpfe nicht mit den erwarteten Siegen enden, werden die Hoffnungen, die Einschnitte wenigstens abzufedern, auf die Wahlebene übertragen. Doch sind die Kräfteverhältnisse auf diesem Feld noch ungünstiger als in der sozialen Sphäre, und so tut sich die Logik des Realismus noch weiter auf. Bertinotti hat das auf recht grobschlächtige und skandalöse Art zum Ausdruck gebracht, indem er gesagt hat: Da die Antikriegsbewegung nicht stark genug gewesen ist, um den Krieg zu verhindern, muss man heutzutage in der Regierung Prodi von innen heraus Schadensbegrenzung betreiben. Aber wie kann man einerseits den Sieg des linken „Non“ bei dem europäischen Referendum in Frankreich begrüßen und anderseits Prodi unterstützen, der zu einer abgespeckten Version des Verfassungsvertrags anstiften wird?
Für welche Sofortmaßnahmen tritt
die LCR unter diesen Rahmenbedingungen in diesem Wahlkampf ein? Welche
Sofortmaßnahmen stellen eurer Auffassung nach Richtpunkte für den Weg
zu einem Bruch mit dem Kapitalismus dar?
Die Europafrage ist umso wichtiger, als Frankreich 2008 in der Europäischen Union den Vorsitz haben wird, wir werden einen Vorschlag für ein anderes Europa verfechten müssen. Um aber Spaltungen innerhalb der PS und zwischen PCF und PS zu vermeiden, relativieren diese Parteien die Trennungslinie, die das „Nein“ dargestellt hat. Das gleiche Problem stellt sich in Bezug auf die „sans-papiers“ [die „ohne (offizielle) Papiere“]. Solange die Sozialdemokratie und die PCF in der Opposition sind, führen sie einen humanistischen Diskurs und beeilen sich, zur Turnhalle von Cachan (2) zu kommen. Wir sollten uns aber an die Gesetze von Chevènement erinnern, die sich gegen die MigrantInnen richten und die in der Zeit der pluralen Linken verabschiedet worden sind. Das überschneidet sich mit der Frage, inwiefern wir uns an einer Regierung des Bruchs beteiligen oder sie unterstützen könnten (obwohl sich das Problem nicht stellt). Dafür wäre es nötig, dass ein Set von vier oder fünf Maßnahmen umgesetzt würde, die eindeutig in Richtung eines Kurswechsels in der Politik auf den Gebieten öffentliche Dienste, Entlassungen, Europafrage, Entsendung von Truppen ins Ausland und Einwanderungspolitik gingen. Nun deutet aber nichts auf einen derartigen Kurswechsel hin. Im Gegenteil, es besteht aller Anlass, von dem Szenario einer Wiederholung auszugehen.
Und davon profitiert die radikale Linke?
Anmerkungen
(1) Dominique Strauss-Kahn, einer der „éléphants“ (also
der Schwergewichte) der Sozialistischen Partei, galt vor der
Urabstimmung unter den Parteimitgliedern als einer der Anwärter auf die
Präsidentschaftskandidatur; von 1997 bis 1999 war er Wirtschafts- und
Finanzminister in der dritten Regierung der „cohabitation“ (Kooperation
von Staatsoberhaupt und Regierungschef aus unterschiedlichen
politischen Lagern) unter Präsident Jacques Chirac und Premierminister
Lionel Jospin. [zurück zum Text]
(2) Seit etwa drei Jahren war ein heruntergekommenes
leerstehendes Gebäude auf einem Universitätsgelände in Cachan
(Ortschaft südlich von Paris, Département Val-de-Marne) von ca. 1.000
schwarzafrikanischen MigrantInnen besetzt worden, darunter viele Frauen
und ca. 200 Kinder; etwa die Hälfte von ihnen haben keine ausreichenden
Aufenthaltspapiere. Am 17. August, mitten im Sommer 2006, wurde ein
gerichtlicher Beschluss, den der Eigentümer, das staatliche
Studentenwerk, im April 2004 erwirkt hatte, auf Anordnung des Präfekten
vollstreckt: kollektive Vertreibung. Das Vorgehen der staatlichen
Behörden, wie es von dem Innenminister Nicolas Sarkozy gewollt war,
recht genau zehn Jahre nach dem Eindringen der Polizei in die Kirche
Saint-Bernard, einer der Höhepunkte der beginnenden Bewegung der
„sans-papiers“ und der Solidarität mit ihnen, sowie der Widerstand
derer „von Cachan“ lösten trotz der Urlaubsperiode eine große Welle der
Solidarität aus. [zurück zum Text]
16-01-2007, 20:28:00 |Interview mit Daniel Bensaïd


